Peteris, mein Freund aus Lettland mag genauso wie ich die bayerischen Volksfeste. Im Jahr 2018 haben wir so viele Feste wie möglich besucht. Wir haben uns die Termine aus dem Internet gesucht und sie „getestet“. Wir haben es unser Volksfest-Scouting genannt! Das hat mich dazu inspiriert so etwas wie einen Crashkurs für Bayerische Volksfeste anzubieten. Da gibt es nämlich viel mehr zu wissen, als dass große Mengen Bier getrunken werden 🙂
Ich beschreibe hier den kulturellen Hintergrund, was dort los ist und gebe praktische Tipps.
Volksfeste und bayerische Volksfeste
Volksfeste gibt es eigentlich in ganz Deutschland. Im Bundesland Bayern hat sich aber ein spezieller Stil herausgebildet. Das Besondere an den bayerischen Volksfesten sind die großen Festzelte mit ihren 1-Liter-Bierkrügen, der bayerischen Musik, dem typischen Essen und den bekannten Trachten. Das Oktoberfest in München ist dabei nur das größte und bekannteste. Es gibt aber eine ganze Reihe solcher Feste. Außerhalb von Bayern kennt man aber meistens nur das Oktoberfest. Auch ich selbst hatte wenig Ahnung von diesen Festen, bevor ich nach Bayern gezogen bin.
Ort und Zeit
Bis auf die Winterzeit finden die Volksfeste das ganze Jahr über statt. Sie dauern zwischen 1 und 3 Wochen. Manche Städte veranstalten sie auch mehrmals im Jahr, zu verschiedenen Jahreszeiten. Es gibt sie überall im Land, auch in kleineren Orten. Je größer der Ort, desto mehr ähnelt sein Volksfest dem Oktoberfest in München. Mittlerweile werden im Herbst in ganz Deutschland Feste in diesem Stil ausgerichtet und auch „Oktoberfest“ genannt. Dabei ist das Oktoberfest in München der Prototyp. Die „Originale“ findet man aber weiterhin nur in Bayern.
Anlass
Volksfeste generell haben meist einen historischen Ursprung. Meistens war es ein jährlich abgehaltener Markt oder ein religiöses Fest. Sehr oft war es das Jubiläum der Einweihung der örtlichen Kirche („Kirchweih“). Dabei wurde auch Essen und Getränke verkauft. Aber nicht nur das. Früher gab es nicht alles immer und überall zu kaufen. Es sind Händler durch das Land gezogen, um ihre Waren anzubieten. So sind sie oft zu jährlichen Festen in den Ort gekommen. Die Händler haben eine Messe abgehalten. Kirche + Messe = „Kirchmess“. Aus diesem Wort wurde „Kirmes“. Beides ist teilweise ein Synonym für ein Volksfest. Typisch für Deutschland gibt es aber durch die Dialekte für Kirchweih und Kirmes unzählige eigene Begriffe. Beim Oktoberfest in München ist der Ursprung jedoch anders. Es gab eine Hochzeit des Königs von Bayern, bei der es auch für das Volk Feierlichkeiten gab. Das wurde später zu einer Tradition.
Bei vielen dieser Feste ist über die Jahre hinweg der Ursprung in den Hintergrund getreten. „Jahre“ bedeutet hier oft Jahrhunderte. Das Fest ist vom Nebenaspekt um eigentlichen Event geworden.
Ein Volksfest ist ein Fest für das Volk, also für Alle. Heute gibt es natürlich Leute, die es mögen und andere, die es nicht mögen. Jeder muss es für sich entscheiden, jedoch sollte man sich selbst ein Urteil darüber bilden.
Zweiteilung in Kirmes (draußen) und Festzelt (drinnen)
Ein Volksfest besteht – vereinfacht gesagt – aus zwei Teilen. Der erste Teil sind die „Fahrgeschäfte und Buden“. Dies ist die Grundlage aller Volksfeste. Hier geht es einfach um Spaß und Erlebnis. Es gibt dort Fahrgeschäfte, Spiele und Snacks. Der zweite Teil sind die Festzelte bzw. Biergärten. Deren Stil macht die Besonderheit des bayerischen Volksfestes aus. Je nach Größe des Volksfestes gibt es ein einziges großes, „Bierzelt“ oder es gibt mehrere davon. Hier kann man tagsüber gemütlich Essen und Trinken. Abends wird es zum „Partyzelt“. Die Volksfeste werden übrigens immer an festen Orten aufgebaut, jedes Mal aufs Neue. Den Rest des Jahres wird der Festplatz anders genutzt, z.B. als Parkplatz.
Fahrgeschäfte und Buden
Dieser Teil ist eigentlich ein transportabler Vergnügungspark. Tagsüber ist es ein Ort für Familien. Abends, wenn es dunkel ist, ist es ein Spaßbereich für Alle. Das Tolle daran ist, dass man als Kind viel entdecken kann. Und wenn man erwachsen ist, und vielleicht ein bisschen getrunken hat, dann kann man sich wieder wie ein Kind fühlen.
- Fahrgeschäfte (z.B. Autoscooter, Geisterbahnen, Kinder-Karussells Ketten-Karussells, Achterbahnen, Free-Fall-Tower, Riesenräder, Wasserrutschen, Ponyreiten)
- Spiele (z.B. Luftgewehr-Schießen, kleine Lotterien, Bälle Werfen, „Hau-den-Lukas“)
- „Fressbuden“ – das sind kleine transportable Verkaufsstände in denen Snacks verkauft werden: Süßes, Fettiges und so weiter. Es ist leckeres Fastfood für zwischendurch
Das Festzelt
Fahrgeschäfte und Buden gibt es in ganz Deutschland. Auch Festzelte. Bei bayerischen Volksfesten sind sie aber der Kern des ganzen Events. Diese Zelte kann man transportieren, sie werden aber über Wochen aufgebaut. In diese Zelte passen mehrere Tausend Leute rein. Es gibt dort sehr typische Bänke und Tische, die aus Holz und Stahl bestehen. Sie sind schlicht, aber sehr stabil. Sie haben viele Namen: „Bierbänke“, „Biertische“ oder als Set auch „Festzeltgarnituren“. In der Mitte des Zeltes sind sie einfach in Reihe aufgestellt, und zwar so, dass möglichst viele Leute Platz finden.
Die Gästebereiche an den Seiten des Zeltes sind die „Boxen“. Sie sind oft in kleinere Abteile getrennt, manchmal auch etwas erhöht. Dort laufen weniger Leute an den Tischen vorbei. Es ist also „gemütlicher“. An den Seiten des Zeltes befinden sich auch die gastronomischen Einrichtungen.
Im Außenbereich der Zelte befinden sich ebenfalls Plätze. Das hat eher die Atmosphäre eines Biergartens. Man findet dort leichter Plätze, doch wenn man dort sitzt hört man nichts von der Musik im Inneren des Zeltes. Innen, befindet sich die Bühne, auf der die Live-Band spielt.
Essen und Trinken im Festzelt
Das typische Getränk ist natürlich Bier! Dieses schmackhafte und vielfältige Getränk ist fest mit der deutschen Kultur verbunden. Speziell mit der bayerischen Festzeltkultur. So sehr, dass die bayerischen Volksfeste im Ausland einfach „Beerfest“ etc. genannt werden.
Man benutzt Maßkrüge. Diese fassen 1 Liter Flüssigkeit. Ein „Krug“ ist etwas was größer als ein „Glas“ ist. Heute sind sie üblicherweise aus Glas hergestellt, früher waren sie aber aus Steinzeug/Keramik. Diese traditionellen Steinzeug-Krüge sind eigentlich besser für das Bier, weil sie es kühler halten. Der Vorteil der Glasvariante ist, dass man erkennen kann, ob der Wirt die korrekte Menge Bier eingefüllt hat und nicht zu viel Schaum.
Man bestellt einfach „eine Mass“. Dann bekommt man den Standard-Liter. Wer es kleiner angehen möchte der bestellt „eine Halbe!“. Das ist eine halbe Mass, also ein 0,5 Liter. „Mass“ sprechen Bayern mit kurzem „a“ aus. Alle anderen Deutschen, die sich nicht auskennen nutzen ein langes „a“.
Vor einem ganzen Liter Bier braucht man sich nicht zu fürchten: Ich weiß selbst nicht warum, aber in einem Bierzelt kann man mehr trinken als anderswo. Zumindest mir geht es so. Meine Theorie ist, dass das „Festbier“ besonders leicht zu trinken ist. Es ist süßer, nicht bitter wie Pils-Bier. Neben dem Festbier gibt es aber auch andere Biersorten, oder auch „Radler“ (gemischt mit Limonade) oder alkoholfreies Bier.
Die Preise für eine Maß Bier liegen bei 9-12 €. Das klingt viel, allerdings bekommt man dafür einen ganzen Liter! Im Vergleich mit den Bierpreisen in West- und Nordeuropa ist das noch im normalen Bereich. Allgemein gilt: je größer das Fest, desto höher die Preise.
Wenn jemand kein Bier trinkt, dann ist es auch völlig in Ordnung etwas anderes zu trinken. Es gibt auch eine große Auswahl an anderen Getränken. Wie im Biergarten bekommt man auch Softdrinks, Wasser, Säfte, Wein etc. Die Hauptsache ist, das man etwas zum Anstoßen hat!
Das Essen ist relativ teuer (10-20€), aber notwendig. Wer viel trinkt muss aber auch viel Essen! Es gibt deftige, bayerische Gerichte, Gebäck und Gemüse („Wirtshaus-Essen“). Typisch ist ein halbes Hähnchen („Hendl“), Haxe oder Brezen. Das mögen nicht alle, deshalb gibt es auch Essen wie Burger und Pommes. Vegetarisches Essen bekommt man auch. In der Mitte des Zeltes sollte man bis 17/18 Uhr fertig gegessen haben. Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass es sehr schwierig ist zwischen Tanzenden von einem Teller zu essen.
Zum Service: Man setzt sich hin und wartet auf die Bedienung. Oft kann man sich aber Essen und Trinken auch am Zeltrand holen, am Tresen. Wenn man sich unsicher ist, dann fragt man einfach dort.
Musik im Festzelt
Wenn das Zelt noch leer ist wird manchmal keine Musik gespielt. Am Nachmittag, meist bis 18 Uhr, wird oft bayerische oder österreichische Volksmusik (Alpen, Blasmusik-Kapelle) gespielt. Das ist die „gemütliche“ Zeit.
Am Abend kommt eine Live-Band. Diese ist intellektuell nicht anspruchsvoll, es ist Partymusik. Wichtig ist, dass sie bekannt ist, so dass man mitsingen kann. Es wird überwiegend deutsche Musik gespielt, oft aus den 80ern und 90ern. Aber auch bekannte Musik mit englischen Texten, oft Klassiker wie „ACDC“ oder „Backstreet Boys“. Das Musik-Spektrum reicht also von Rock bis Pop, von alten bis aktuellen Liedern. Die Band macht ab und zu auch eine Pause von 15-30 Minuten. Da spielt dann ein DJ Musik. In der Zeit kann man, wenn man Mitglieder der Band trifft (zum Beispiel auf der Toilette), eigene Lieder wünschen! Später, zum Ende hin wird viel Musik aus den 80ern gespielt. Die „Neuen Deutsche Welle“ spielt da eine besondere Rolle.
Die Band animiert zum Feiern und Trinken. Dazu gibt es zwischendurch „Trinksprüche“ vom Sänger, bei der das Publikum mitmacht. Hier die Klassiker:
Band: „Ein Prosit… ein Prosit… der Gemütlichkeit!“
(Das ist eine verlängerte Version des „Prost!“ Am Schluss stoßen alle mit an.)
Band: „Zicke Zacke! Zicke Zacke!“
Publikum: „Oi, Oi, Oi!“
(Ehrlich gesagt kenne ich die Bedeutung nicht)
Band: „Prost Ihr Säcke!“
Publikum: „Prost du Sack!“
(„Sack“ ist eine Beleidigung. Der Sänger der Band beleidigt das Publikum. Als Antwort beleidigt das Publikum den Sänger.)
Stimmung
Das Festzelt hat typischerweise ab Mittag geöffnet. Oft ist bis zum späten Nachmittag noch viel Platz. Es geht gemütlicher zu: Man kann Essen und sich unterhalten. Es werden auch Karten gespielt etc.
Am Abend wird es dann lauter. Die Leute, die weit weg von der Bühne sind sitzen meistens. In der Mitte und in der Nähe zur Bühne wird aber ab 17-19 Uhr bis zum Schluss wird auf den Bänken getanzt. Es ist ein Trinken, Tanzen und Spaß haben. Die Stimmung dort liegt irgendwo zwischen Club und einem Fest auf dem Dorf. Man muss es selbst erleben, am besten mit 4-10 Freunden gemeinsam.
Wenn man in ein Zelt kommt ist es nicht selten, dass keine Tische mehr frei sind. Man fragt dann, ob man sich zu anderen setzen darf. Wenn man lange genug fragt hat man manchmal Glück. Die Leute halten die Sitzplätze für Bekannte frei. Es kann sehr lange dauern, bis einen Platz findet. Dabei kann man sich aber das ganze Zelt ansehen. Wenn man sich zu anderen an den Tisch setzt, kommt man schnell in Kontakt mit seinen Nachbarn. Ein gemeinsames „Prost!“ und man ist eine Gemeinschaft. Es geht locker zu. Es ist kein Problem Fremde zu Duzen, auch wenn sie älter sind als man selbst.
Auf Volksfesten geht es aber auch „derb“ zu. Es wird viel getrunken, allgemein beherrscht man sich aber. In Deutschland ist das Bier-Trinken so fest in der Gesellschaft verankert, dass man schon lange Erfahrung hat zu Trinken, sich dabei aber trotzdem zu benehmen. Mit viel Essen funktioniert es literweise Bier zu trinken. Leute, die zu viel trinken gibt es auch. Die werden aber schnell von der Security aus dem Zelt gebracht. Wenn es den Leuten schlecht geht werden auch mal Sanitäter gerufen. Auf größeren Festen gibt es eigene Abteilungen mit Sanitätern, die sich um gesundheitliche Probleme kümmern.
Passiert…
Die allgemeine Sicherheit ist so wie bei jeder anderen Großveranstaltung. Eher besser, weil stark auf die Sicherheit geachtet wird. Wenn man auf den Tischen tanzt, dann wird man aufgefordert herunter zu kommen. Wenn man fällt ist es für einen selbst sehr gefährlich. Aggressivität oder Schlägereien gibt es, jedoch nicht mehr als auf irgendeiner Party mit so vielen Besuchern. Meist ist der Grund ein Missverständnis. Ich war schon bestimmt 50 Mal auf Volksfesten, aber habe auf dem Gelände selbst noch nie eine ernsthafte Situation erlebt. Der Weg zum Bahnhof ist gefährlicher. Es ist wie bei Fliegen im Flugzeug: Man denkt, dass es besonders gefährlich ist, aber durch die ganzen Sicherheitsmaßnahmen ist es tatsächlich sicherer als jedes andere Verkehrsmittel.
Gegen 23 oder 24 Uhr ist Schluss. Es ist keine Veranstaltung um die Nacht durchzumachen. Dafür beginnt es schon viel früher. In einem Festzelt kann man sich manchmal um 23 Uhr so fühlen, als wäre es 5 Uhr. Es geht dann zurück nach Hause oder man geht noch woanders feiern.
Reservieren
Wer abends an einem Tisch sitzen möchte, der braucht großes Glück – oder eine Reservierung. Die kann man machen, oft braucht man aber eine Mindestzahl an Gästen. In München erhält man abends ohne Reservierung kaum einen Platz. Es aber auch Bereiche in denen man nicht reservieren muss. Da sollte man aber schon früh ankommen. Unter der Woche bekommt man generell schneller Plätze. Reservierungen macht man beim Oktoberfest Monate im Voraus. Woanders ist die Situation besser. Man sollte sich auf der Website des Volksfestes informieren. Dort kann man oft auch Tische reservieren. Im Zelt gibt es eine Übersicht an der man sieht welchen Tisch genau man benutzen darf. Man muss dabei pünktlich sein! Wie ich oben beschrieben habe kann man durch fragen aber immer ein paar Plätze bekommen.
Traditionen
Zu den Festen gibt es gewisse Traditionen. Das kann ein feierlicher Einzug am Anfang sein. Beim Oktoberfest in München gibt es am ersten Tag den „Einzug der Wiesnwirte“. Auf historischen Bierwagen werden einige Fässer Bier zum Festbereich gebracht. Das ist nur symbolisch, denn in Wirklichkeit braucht man viele LKW für den Bier-Transport. Hier marschieren dann auch Blaskapellen oder Trachtenvereine mit, die ihre Musik und Kleidung präsentieren. In München kommen dazu Vereine aus ganz Bayern, aber auch Österreich.
Auf dem Festgelände kann man einiges traditionelles Brauchtum sehen. Zum Beispiel das Goaßlschnalzen, bei dem die Peitschen direkt über den Köpfen der Besucher knallen. Am ersten Tag eines Volksfestes ist es Brauch, dass das Bier erst nach dem „Anstich“ ausgeschenkt wird. Dabei wird das erste Fass geöffnet. Und zwar vom amtierenden Bürgermeister der Stadt. Mit einem Hammer muss es geöffnet werden. Dabei wird darauf geachtet, wie viele Hammer-Schläger er benötigt, um das Fass zu öffnen. Je weniger, desto besser. In Würzburg, auf dem Kiliani gibt es jedes Jahr einen Boxkampf. Auf dem Frühjahrsvolksfest gibt es in der Mitte des Zeltes einen Baumstamm, an dem jeder versuchen darf hochzuklettern. Wer es schafft bekommt eine Maß gratis. Das sind aber nur Beispiele. Auf den Volksfesten gibt es immer wieder Besonderheiten zu entdecken.
Trachten
Von den bayerischen Trachten gibt es eigentlich viele Arten. Die mit Abstand bekannteste Form ist aber „Dirndl und Lederhose“. Ein paar Sätze zur Bedeutung: Ende des 19. Jahrhunderts sind viele Menschen vom Land in die Städte zogen, um in den neuen Fabriken zu arbeiten. Die Städte sind schnell gewachsen, es war laut, schnell, modern. Viele der Neuankömmlinge haben Trachtenvereine gegründet. Dort haben sich Leute zusammengetan, die aus der gleichen Region kamen, um sich ein Stück ihrer Heimat und Identität zu bewahren. Dazu gehörte die ländliche Kleidung der Heimatregion zu tragen. Es war aber nicht die normale bäuerliche Arbeitskleidung, sondern die Kleidung, die man an Sonn- und Feiertagen angezogen hat. Jede Region hatte andere Trachten, oft gab es von Dorf zu Dorf Unterschiede. Andersherum kam gerade der Tourismus auf. Städter aus den mittleren und höheren Schichten wollten raus aus der lauten und durch die Fabriken verschmutzte Stadt. Sie haben Ausflüge aufs Land gemacht. Oft in die Berge (im Norden Deutschlands dagegen oft ans Meer). Als die Städter in den Bergdörfern waren wollten sie sich manchmal auch „volkstümlich“ anziehen. Dazu haben sie Trachten gekauft. Außerdem haben sie sie auch als Andenken an diese Landwelt mit nach Hause genommen. Dass Touristen Lederhosen und Dirndl kaufen gibt es also schon seit mehr als 120-150 Jahren!
Heute werden die oberbayerischen Trachten als „urtümlich bayerisch“ auch auf Volksfesten getragen. Die allseits bekannten Dirndl und Lederhosen sind dabei aber nur eine „moderne, vereinfachte“ Version. Es gibt unendlich viele Formen und Feinheiten.
Die Gleichheit ist in Deutschland schon lange ein hoher Wert (früher vor Allem galt das natürlich für die Gleichheit innerhalb der Schichten). Volksfeste waren für das Volk gedacht, also die Masse der einfachen Leute. Heute ist es etwas für Alle. Auf dem Volksfest verschwinden die sozialen Unterschiede. Die Tracht unterstützt das. Wenn viele das gleiche anhaben, kann man nicht erkennen wer viel oder wenig Geld hat. Die Menschen sind nicht anhand der Kleidung zu unterscheiden. Außerdem sitzen oft unterschiedlichste Leute Tisch an Tisch. Alle können mitmachen, der Eintritt ist frei. Das ist ein Stück soziale Gleichheit.
Wenn sich alle zum Volksfest treffen verschwinden auch die kulturellen Unterschiede. Wer Migrant oder Kind von Migranten ist, der gehört mit Tracht sofort dazu. Er ist dann einer von Allen. Jeder kann mitmachen. (Zugegeben habe ich Frauen mit Kopftuch nur außerhalb und nie innerhalb des Bierzelts gesehen.) Im Zelt selbst tritt die Herkunft aber in den Hintergrund. Ob jemand aus Afrika, Iran oder Australien kommt ist dann nicht mehr so wichtig.
Es geht es höchstens darum, ob man Bayer ist oder nicht. Egal ob Ausländer oder nicht-bayerische Deutsche (die „Preißn“): Für einen echten Bayern gibt es da keinen Unterschied.
An- und Abreise
Besonders bei den großen Festen ist man nicht allein, wenn man z.B. mit der Bahn anreist. Die Züge sind voll und man erkennt die mitfeiernden an den Trachtenträgern. Morgens auf der Fahrt geht die Party meist schon los, auch wegen der Bierpreise direkt auf dem Fest. Wenn man am Bahnhof aussteigt, dann braucht man meist nur der Masse zu folgen, um zum Festgelände zu gelangen. Wenn auf dem Festgelände Schluss ist (23 oder 24 Uhr) kann man sich auch der Menge anschließen, um zum Bahnhof zu gelangen. Auch im Zug ist man dann mit einer Menge meist junger Leute unterwegs, die alle nach Hause fahren. Da geht die Party oft noch weiter. Selbst wenn die Bahn Verspätung hat, oder wenn es Ersatz gibt ist man wenigstens nicht allein. Auf diesen Rückfahrten habe ich selbst schon eine Menge Leute kennengelernt.
Wie immer gilt auch bei den bayerischen Volksfesten: Man erlebt es am besten selbst.